Helmut tut, was er auch sonst immer tut: Er resigniert. Vom Flur aus beobachtet er Gerlinde in ihrer ganzen Nacktheit noch etwas durch den Türspalt. Er ist halb erregt, halb angeekelt. In etwa so wie wenn man Jessica Alba nackt in seinem Zimmer stehen und sie eine Warze von den Ausmaßen eines Fünfmarkstücks am Po hätte.
Er schlurft hoch in die Küche. Sein Vater sitzt dort und fährt sich ein Gurken-Salami-Brötchen in den Hals. Als er ihn kommen sieht kommentiert er grinsend: „Guten Morgen, Spargeltarzan in Schlappen und Shorts“. Helmut grinst beiläufig und setzt sich an den Tisch. „Ach Vadder“, gibt er zurück, „Wenn du nur meine Probleme hättest.“
„Oh ja, ich weiss“, entgegnet dieser. „Du hast es schon schwer. Ist das komische Ding, das du deine Freundin nennst, noch unten?“
„Hör auf damit. Wir lieben uns!“ keift Helmut zurück.
„Zumindest denkt ihr das“, schließt sein Vater, steht auf und nimmt seine Aktentasche vom Schrank, den Autoschlüssel vom Sideboard und verlässt das Haus.
Helmut greift sich auch ein Brötchen, bestreicht es mit Melkfett und Salz und fängt an es genüsslich zu verspeisen. Als er beim dritten angelangt ist, macht ihn ein Klatschen im Flur darauf aufmerksam, dass Gerlinde auf der Treppe ausgerutscht ist. Er beißt noch einmal großzügig von seinem Brötchen ab. Gerlinde kommt mit einem schelmischen Grinsen zur Küchentür herein, küsst Helmut auf die Stirn und setzt sich auf den Stuhl neben ihm. Eine ganze Weile lang sprechen sie kein Wort.
„Ich hab gestern mit Waltraud gesprochen“, sagt Gerlinde unvermittelt.
„Ist das was Neues dass ihr zwei Vögel vom Ortsverband der ostdeutschen Kinder miteinander quasselt?“, murrt Helmut.
„Jetzt sei mal nicht so eklig und hör zu. Sie hat mir was erzählt.“
„Ach was denn?“, spielt Helmut wenig gekonnt Interesse vor. „Wird die Mauer wieder hochgezogen und euer Westvisum ist endlich abgelaufen?“
Es klatscht. Laut. Helmut rutscht ob der Wucht von Gerlindes weit ausgeholter Backpfeife ein ganzes Stück weit vom Stuhl. „AU!“
„Selbst Schuld“, sagt Gerlinde mürrisch. „Und jetzt hör mir vernünftig zu. Es gibt eine Verschwörung gegen uns“.
„V-V-Verschwörung? Welche Verschwörung?“, stammelt Helmut überrascht.
„Die machen Front gegen uns im Internet“, bringt sie heraus.
„Wer macht Front gegen uns Im Internet?“, fragt Helmut mit einem sich langsam abzeichnenden roten Handabdruck im Gesicht.
„Du weißt schon wer. Die ganzen Arschlöcher, die wir vorher unsere Freunde nannten. Bis sie uns auseinander bringen wollten. Die eben.“
„Ach die! Was interessieren die uns denn?“. Helmut grinst souverän.
„Naja, interessieren hin oder her“, ergänzt Gerlinde. „Sie machen uns lächerlich! Und alle Welt kann es sehen!“
„Das können wir doch auch selbst gut genug!“, gibt Helmut seinen Senf dazu. „Was tun sie denn so schlimmes?“
„Ich bin mir nicht ganz sicher, aber Waltraud erzählte mir dass sie aus Zufall mal wieder auf der Seite von MCHaar war, und was musste sie dort lesen? Marco & Ceci Teil eins bis fünf!“
„Wer ist das?“ fragt Helmut unvermittelt.
„Wir sind das!“, antwortet Gerlinde leicht aggressiv. „Die haben alles was vorgefallen ist zwischen uns und denen total peinlich für uns und total gut für die auf die Seite geschrieben. Nur halt unter anderen Namen. Weiß Gott warum“.
„Is klar warum, Gerlinde. Is klar warum.“
„Ach ja, schlauer Student, warum denn?“, will Gerlinde mit verzogenem Gesicht wissen.
„Weil wir sie dann nicht drankriegen können“, sagt Helmut gedankenverloren. „Damit ich sie nicht wegen übler Nachrede anzeigen kann und sowas!“
Gerlinde scheint ein Licht aufzugehen. Schwach, aber doch merklich: „Die Schweine! Wie genial!“
„Bist du ruhig! Lob die Vollidioten noch! Hast du sie nicht mehr alle? Kann ja nicht wahr sein! Wir müssen uns das ansehen!“. Spricht´s und geht zum PC rüber, schmeißt ihn an und ruft die Seite auf.
Gerlinde setzt sich zu ihm und beide lesen sich die ganzen Geschichten durch. Begleitet von komischen Lauten und vielen Schimpfworten arbeiten sie sich durch die einzelnen Teile, schauen sich die befürwortenden Kommentare dazu an, regen sich auf, grinsen unvermittelt und geben schließlich auf.
„Dieses Arschloch kann sogar verhältnismäßig unterhaltsam schreiben! Ich hab mich nicht einen Moment gelangweilt.“, bemerkt Gerlinde abschließend. Helmut krallt sich mit den Fingernägeln in ihren Arm und drückt zu. „Aua!“, schreit Gerlinde fast. „Was soll das denn?“
Wahnsinnig grinsend und mit zusammengebissenen Zähnen sieht Helmut sie an. „Du verdammtes Dreckstück!“, bellt er, „Was bildest du dir ein diese Wichser auch noch gut zu finden? Du kannst gleich heimfahren!“
„Leck mich!“, brüllt Gerlinde und reißt sich von ihm los. „Du bist doch krank!“. Dann läuft sie zügig Richtung Treppe.
Helmut bleibt alleine auf seinem Stuhl zurück. Brütend. Was kann er nur gegen dieses unglaubliche Untergraben seiner Autorität tun? Er malt sich die absurdesten Kriegsszenarien aus, in denen er diesen MCHaar mit allen erdenklichen Foltergeräten bearbeitet. Und all die Anderen, die da ihre Kommentare abgeben und über ihn lachen sind rundherum in Holzkäfige eingepfercht. Und Säure spritzt aus Deckensprinklern auf sie herab. Sie schreien und bluten. Und er steht in einem Lederkostüm in der Mitte und lacht. Geil! „Die müssen bezahlen!“ ruft Helmut laut aus.
„Ach ja: Das mit deinem kleinen Schwanz haben sie besonders gut wiedergegeben!“, tönt es aus dem Flur, bevor die Haustür zugeschlagen wird.
„FAHR HEIM!“, brüllt Helmut zurück. Doch das tut Gerlinde ja sowieso. Das tut sie immer. Und kommt eh zurück…
-Fortsetzung folgt-
1 Kommentar:
..bis das liebe "lindi" mal von der stimme der vernunft heimgesucht wird..aber naja...
und wenn sie nicht gestorben ist, dann kommt sie auch ncoh heute zurück...
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